Thomas Kilpper @ Danish Pavilion in Venice

thomas kilpper – installation view – pavilion for revolutionary free speech – giardini, venice 2011
Interview: Thomas Kilpper, Florenz - mit Thomas Borchert, DPA (Deutsche Presse Agentur), Kopenhagen
Frage: Aus Kopenhagen ist ein sehr starkes und fast einhellig negatives Echo auf Ihre Installation beim dänischen Biennale-Pavillon gekommen. Wie haben Sie dieses Echo erlebt?

Heute Nacht träumte ich von Asta Nielsen, sie war Kabarettistin und spielte in einer Fernsehansprache die dänische Verteidigungsministerin: „Ich muss meine Soldaten in Alarmbereitschaft versetzen! Was hier ausländische Künstler veranstaltet haben, ist nicht nur eine Veruntreuung dänischer Steuergelder, es ist eine Kriegserklärung an unsere Nation! Sie haben unser Geld erhalten! Und ihr Dank? Uns zu kritisieren! Das gab es noch nie! Zum Wohle unserer Nation müssen wir unsere Steuergelder zurückfordern! Unsere Soldaten sind bereit, unsere Nation gegen diese Schmach zu verteidigen!“ – Asta war großartig und in ihrer Überspitzung hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Aufregung um den dänischen Pavillion in Venedig ist mit Vernunft nicht zu verstehen.

Frage: Was ist ihre eigentliche Intention bei der Installation?

Meine Intention war, ein Kunstwerk voller Intensität zu schaffen, das in sich den Widerspruch trägt, einerseits ein romantischer Pavillon, ein offener Ort im Grünen zu sein, ein Ort, der zum Verweilen einlädt, der sich aber dann, beim Betreten als Ansammlung enormer Konfliktpotentiale erweist. Bedürfnis und Realität stoßen aufeinander. Wie im wirklichen Leben.

Geht es um den Missbrauch von Meinungsfreiheit?

Ja auch, wie um aktuelle Tendenzen von Zensur, aber nicht nur. In dieser Arbeit richte ich mein Hauptaugenmerk auf die allgemeine Lage in Europa, wo in den letzten 20 Jahren eine Machtverschiebung stattgefunden hat: die einstmals marginalen Splittergruppen des rechten Randes haben sich an die Machtzentren herangeschoben, diese Entwicklung ist katastrophal. Ich versuche, diese Entwicklung sichtbar zu machen und darauf eine künstlerische Antwort zu finden. Mein Werk ist ein Ruf: damit muss Schluss sein, wir brauchen eine grundlegende Veränderung, einen emanzipatorischen Aufbruch. Ich will ein offenes Europa, wo wir gleichberechtigt mit allen, gerade auch mit den Zuwanderern und Flüchtlingen anderer Kulturen zusammenleben.

Frage: Wollen Sie, wie die Medien in Dänemark meinten, die Besucher zum Herumtreten auf Politikerporträts animieren?

Das ist Quatsch, meine Arbeit „Pavilion for Revolutionary Free Speech“ beinhaltet neben einer „Speakers Corner“ mit einem großen Megaphon, das jeder Besucher für spontane Ansprachen benutzen kann, eine Bodenarbeit. Die gesamte Bodenfläche, ca 150qm verwandelte ich in einen Holzschnitt. Tatsache ist, die Besucher können diesen Holzschnitt betreten. Das ist auch das besondere, sie stehen mitten im Kunstwerk. Zu ihren Füssen sind diese Figuren, die mit teilweise großer Macht ausgestattet sind. Die Besucher erleben für einen kurzen Moment eine Perspektive, die die realen Machtverhältnisse auf den Kopf stellt. Natürlich können sie selbst bestimmen, wie und wo sie sich auf dem Bild bewegen und positionieren. Es wäre ein völliger Widerspruch zu meiner Denkweise, hier Vorgaben zu machen. Nach der Ausstellung beabsichtige ich einen Gesamtabdruck des Bildes zu fertigen, vielleicht werden die Spuren der Besucher darauf ablesbar sein. Die Arbeit entwickelt sich also im Sinne einer sozialen Plastik weiter.

Frage: Was denken Sie, wenn in dänischen Zeitungs-Kommentaren Ihre Arbeit praktisch durchgehend als „platte Provo-Kunst“, Schmähkunst“ oder „lächerlich“ abqualifiziert wird?

Mit Beschimpfungen dieser Art wurden schon viele – auch namhafte – Künstler konfrontiert, Ich würde mir eine niveauvolle Form der Kontroverse wünschen. Wer meine Kunst aufmerksam wahrnimmt, wird feststellen, dass sie eine Aufforderung zur Differenzierung darstellt. 33 Porträts – alle haben zwei Augen, eine Nase und einen Mund und doch verkörpern sie alle individuelle Personen. Die Kuratorin Bice Curiger oder Paolo Baratta, der Direktor der Venedig Biennale, ein Selbstporträt von mir, Thilo Sarrazin, Angela Merkel, Papst Benedikt. Keiner kann ernsthaft behaupten alle stünden in gleicher Position und Verantwortung. Trotzdem setze ich mich in Widerspruch zu allen, nur: aus verschiedenen Gründen.

Angesichts der Heftigkeit, in der mein Werk in Dänemark angegriffen wird ist es schon beachtlich, dass kein einziger Journalist ihm auch nur in einem inhaltlichen Punkt widersprochen hat: der Papst klärt sexuelle Übergriffe seiner Priester nicht auf, stattdessen agitiert er menschenverachtend gegen Homosexuelle, Berlusconi hat eine Staatssekretärin, die ihren Posten erhält, nachdem sie sagt, sie sei stolz Faschistin zu sein, die griechische Regierung will einen Zaun zur Türkei bauen, um Migranten den Zugang nach Europa zu verbauen…, die ungarische Regierung führt die Zensur der Medien wieder ein…, für mich ist das alles Stoff für entschiedenen Widerspruch. Ich denke, mein Kunstwerk schlägt so hohe Wellen, weil es hier an einem prominenten Ort mit ungewöhnlicher Eindeutigkeit fundamentale Kritik an den politischen Verhältnissen entwickelt.

Frage: Dänemarks Kulturminister Møller hat kritisiert, dass nur zwei von 18 am dänischen Biennale-Pavillon beteiligten Künstlern Dänen sind. Können Sie das verstehen?

Malte-Bruns hätte sich im Grab herumgedreht und dem Minister zugerufen: „Mein Sohn es ist eine Schande, was Du da sagst…“ Die Ausrichtung des dänischen Pavilions über die nationalen Grenzen hinweg ist ein wegweisender Schritt. Das heisst natürlich nicht, dass es keine hervorragenden Künstlerinnen und Künstler in Dänemark gäbe. Die werden vielleicht eines Tages tatsächlich im deutschen, britischen und bestimmt auch wieder im dänischen Pavillon zu sehen sein. Ich selbst definiere mich nicht über „Deutschsein“. Ich empfand die Gastfreundschaft des dänischen Arts Council als phänomenal und wurde davon sehr beeindruckt.

Frage: Hat sich Ihr Bild von Dänemark durch die öffentlichen Reaktionen auf Ihre Installation geändert? Wie erleben Sie das dortige Debattenklima im Vergleich zum deutschen?

Ja, ich bin erstaunt, dass es anscheinend keine kritischen, linken Medien gibt, die sich ein eigenes Bild machen, recherchieren und fundiert schreiben. Das passt aber ins gesamteuropäische Bild, was mir bestätigt, wie wichtig deutliche Zeichen von Protest und Widerstand sind. Ich hoffe aber, dass es sie bald wieder geben wird, die Fische, die gegen den Strom schwimmen, die eine inhaltliche Auseinandersetzung beginnen und sich der Politik von Ausgrenzung, Verhöhnung und Rassismus widersetzen.